Siegel sind in all ihren materiellen und symbolischen Manifestationen nicht nur zentrale Objekte archäologischer und kulturwissenschaftlicher Forschung, sie konstituieren auch ein essenzielles Thema im interdisziplinären Diskurs. Siegel repräsentieren eine Gattung von Objekten, die in den verschiedensten Zeiten, Räumen und Kulturen Verwendung fanden und finden, und die als vom Menschen erdachte und gemachte ‚kulturelle Artefakte‘ die ihnen jeweils zugeschriebenen Rollen und Funktionen erfüllen. Siegel und Siegeln werden im Fokus der Kulturtechnik betrachtet, so dass Funktionen des Siegelns und die siegelnden Personen in den Vordergrund rücken. Im interdisziplinären Umfeld werden neue Fragestellungen aufgeworfen und Methoden angewendet, die die Evidenz in ihren sozialen und zeitlichen Kontexten zum Sprechen bringen. So werden beispielsweise altorientalische Epen, Bilder des pharaonischen Ägypten und epigraphische Dokumente der griechischen Staatenwelt in den Diskurs eingebracht. Die interdisziplinäre Zusammensetzung macht diesen vielseitigen Zugriff ebenso wie den chronologischen Streifzug durch fast vier Jahrtausende – vom 3. Jahrtausend v. Chr. bis zum Ende des 1. Jahrtausends n. Chr. – möglich.
J. Auenmüller bringt die Bilder des pharaonischen Ägypten, in denen Siegel als Objekte und das Siegeln als Handlung dargestellt sind, zum Sprechen. Er stellt Marktszenen ebenso wie Schauplätze der Wein-, Bier-, Öl- und Honigherstellung vor und diskutiert dadurch sowohl die ikonographische Realität der Bilder in Tempeln und Elitegräbern als auch den bildlichen Diskurs über das Siegel(n) in der pharaonischen Kultur. – Der vierflügelige Skarabäus ist ein auf offiziellen Siegeln der Eisenzeit weit verbreitetes Motiv im syrisch-palästinischen Raum. R. Schmitt diskutiert die Herkunft und Vermittlung dieses Motivs und konstatiert, dass parallele Entwicklungen am wahrscheinlichsten sind. – Aus hellenistischer und römischer Zeit ist die beträchtliche Zahl von etwa 200.000 Siegelabdrücken erhalten, die an Urkunden appliziert waren. Allerdings steht die Forschung vor der Herausforderung, dass fast alle dazugehörigen Dokumente zerstört sind. Die Beiträge von N. Moustakis und T. Schreiber machen diese Diskrepanz deutlich und stellen Methoden vor, um dennoch Funktionen und Kontexte des Siegelns zu rekonstruieren. N. Moustakis nähert sich dem Phänomen des Siegelns in der griechischen Staatenwelt über epigraphische Quellen. Sie stellt damit nicht das Artefakt Siegel in den Mittelpunkt, sondern analysiert Inventarlisten, Verträge und Ehrendekrete, die die Verwendung von Siegeln dokumentieren. T. Schreiber fokussiert auf die Bedeutung und Funktion hellenistischer Siegel mit Herrscherporträts. Anhand von Siegelabdrücken aus den Archiven von Uruk/Orchoi und Seleukia am Tigris, die das Porträt seleukidischer Herrscher tragen, sowie von Siegelabdrücken mit Porträts ptolemäischer Herrscher aus den Archiven von Kallipolis, Edfu und Nea Paphos geht er der zentralen Überlegung nach, wer mit diesen Siegeln siegelte. In einem weiteren Beitrag nimmt er die Sigel aus Doliche, dem heutigen Gaziantep, nahe der türkisch-syrischen Grenze gelegen, in den Blick, die eng mit dem Kult des Iuppiter Dolichenus verbunden sind. – Auch M. Grünbart greift durch seine Analyse von Metallstempeln aus Byzanz (6.–12. Jahrhundert n. Chr.) die öffentliche Funktion dieser Artefakte auf; er hebt die weite Verbreitung identer Stempel hervor, die auf eine Duplizierung hinweist; damit wären also nicht nur Siegelabdrücke serielle Objekte, sondern auch die Stempel selbst. – Der Beitrag von M. Odenweller präsentiert schließlich eine Klassifikation der Siegelringe der Merowingerzeit.