Verlag für altorientalistische, alttestamentliche, ägyptologische und altertumswissenschaftliche Fachliteratur
Siloah — Quelle des Lebens. Eine Kulturgeschichte der Jerusalemer Stadtquelle
Jens M. Wening
Ägypten und Altes Testament 101
2021
ISBN 978-3-96327-096-3 (Buch)
ISBN 978-3-96327-097-0 (E-Book, via ProQuest)
501 Seiten / DIN-A4 / Hardcover, Fadenheftung
130,00 €
Die Jerusalemer Stadtquelle ist in Tradition und Gegenwart unter dem Namen Siloah bekannt, auch wenn ihr Wasser der Gihon-Quelle entstammt. Eine unterirdische Leitung, der sogenannte Hiskia-Tunnel, führt das Wasser der Quelle bis auf den heutigen Tag unter dem Südost-Hügel hindurch. Für fast zwei Jahrtausende galt diese westliche Ausmündung des Tunnels als die Siloah-Quelle oder der Siloah Jerusalems. Die eigentliche Quelle, der Gihon, geriet hingegen für über ein Jahrtausend in Vergessenheit. Heute zählen die Wassersysteme des Südost-Hügels zu den archäologischen Stätten, die weltweit am intensivsten erforscht wurden. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den kulturellen Erinnerungen zum Siloah. Sie entwickelt auf der Grundlage einer vielfältigen Auswahl unterschiedlicher Text- und Bildmedien eine Kulturgeschichte der Jerusalemer Stadtquelle von ihren Anfängen bis in die Gegenwart. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei einerseits der Pluralität und Variabilität der Erinnerungskulturen, andererseits dem Zusammenhang mit den materiellen Strukturen und Architekturen. Die Arbeit verbindet hierzu ein historisch-kritisches Quellenstudium mit einem erinnerungskulturellen Ansatz in raumsoziologischer Perspektive.
In der Frühzeit Jerusalems (Kap. IV), der Mittelbronze-II-Zeit, wurden umfangreiche Anstrengungen unternommen, um das Wasser der intermittierenden Quelle für die Bevölkerung nutzbar zu machen und Feinden den Zugriff auf die Wasserressource der Stadt zu verwehren.
In alttestamentlicher Zeit (Kap. V) hatte die Jerusalemer Stadtquelle eine herausgehobene kultisch-theologische Bedeutung: Sie galt als Heilssymbol und Zeichen der Gegenwart Gottes. Die Gihon-Quelle wurde mit den Strömen des Paradieses in Verbindung gebracht. Salomo soll an der Quelle zum König gesalbt worden sein.
In frühjüdischer Zeit (Kap. VII) wurde an Sukkot, dem jüdischen Laubhüttenfest, ein bedeutungsvolles Wasserritual praktiziert: Dazu wurde am Siloah Wasser geschöpft, das in einer Prozession zum Tempel hinaufgebracht und dort am Altar vergossen wurde. Dies sollte unter Bezugnahme auf alttestamentliche Traditionen das erwartete endzeitliche Heil versinnbildlichen. Mit der Zerstörung Jerusalems und des Tempels im Jahre 70 n. Chr., der nachfolgenden Vertreibung der jüdischen Bevölkerung und der 130 n. Chr. erfolgten Umwandlung der Stadt in die römische Kolonie Aelia Capitolina kam es zu einem weitgehenden Bruch mit den alttestamentlich-frühjüdischen Traditionen. Die formative Periode der Erinnerungskulturen zum Siloah endete mit diesen Ereignissen. Die Zerstörung des Jerusalemer Tempels stellte auch den Verfasser des Johannesevangeliums vor die Frage einer Neubewertung der Festliturgie von Sukkot.
In der Erzählung von der Heilung eines Blindgeborenen am Siloah in Joh 9 (Kap. VIII) deutet der Evangelist den Siloah christologisch: Das endzeitliche Heil, welches das Wasserritual an Sukkot mit der Libation des Quellwassers symbolisch vorausnahm, ist nach seiner Auffassung nicht mehr vom Jerusalemer Tempel und seiner Kultpraxis abhängig, sondern in Jesus bereits gegenwärtig. Die gesamte frühchristliche Auslegungs- und Kommentarliteratur (u. a. Augustinus) ist dieser Deutung von Joh 9 gefolgt. Ein historisch-topographisches Interesse am Siloah gab es in frühchristlicher Zeit nicht.
In spätrömischer Zeit (Kap. IX) lag der Siloah außerhalb der südlichen Stadtummauerung Jerusalems. Um 130 n. Chr. wurde an der Ausmündung des Hiskia-Tunnels ein Nymphäum erbaut, das archäologisch als vierseitiger Portikus nachgewiesen ist.
In byzantinischer Zeit (Kap. X) wurde um die Mitte des 5. Jh. n. Chr. im Süden Jerusalems eine neue Stadtmauer errichtet, die den Siloah wieder in das Stadtgebiet brachte. Etwa zeitgleich wurde am Siloah eine Kirche erbaut, die den spätrömischen Portikus teilweise integrierte und deren Altar sich unmittelbar über der Ausmündung des Hiskia-Tunnels befand. Beim Persereinfall von 614 n. Chr. wurde diese Kirche offenbar beschädigt. Infolge des Rückgangs der christlichen Bevölkerung kam sie außer Gebrauch und verfiel.
Die islamische Traditionsbildung (Kap. XI) zum Siloah setzte ein, als die dortige Kirche bereits im Verfall begriffen war. Schon in umayyadischer Zeit (frühes 8. Jh. n. Chr.) wurde der Siloah von muslimischen Pilgern besucht. Im Islam galt der Siloah in Anlehnung an alte jüdische Tempeltraditionen als eine der Quellen des Paradieses.
Erst mit den Kreuzfahrern (Kap. XII) wurde der Siloah zum christlichen Erinnerungsort der johanneischen Blindenheilung.
In mamlūkischer Zeit (Kap. XIV) wurde um 1300 n. Chr. die Gihon-Quelle wiederentdeckt. Sie erhielt den Namen Marienquelle, da man sich erzählte, dass Maria hier die Windeln ihres Sohnes Jesu gewaschen habe. Die Legende vom Windelwaschen ist aus Motiven der apokryphen Kindheitsevangelien und islamischen Lokaltraditionen zur Wiege Jesu (Mahd ʿĪsā) und der Kammer der Maria (Miḥrāb Maryam) hervorgegangen.
Aus der osmanischen Zeit (Kap. XV) ist eine Vielzahl von christlichen Pilgerberichten erhalten, die den Siloah durchgängig als Ort der johanneischen Blindenheilung verzeichnen. Ein Besuch am Siloah gehörte in dieser Zeit zum festen Programm einer jeden christlichen Pilgerfahrt nach Jerusalem.
In den literarischen Verarbeitungen westlicher Schriftsteller (Kap. XV.3) wird der Siloah unter dem Aspekt seiner Urtümlichkeit und abgeschiedenen Lage behandelt.
Danksagung
Kurzfassung
I. Einleitung
I.1 Annäherung: Tod und Leben
I.2 Zum Thema: Die Spuren des Siloah
I.3 Zum Forschungsstand
I.4 Inhaltliche und methodische Weiterführungen
I.5 Methodik und Aufbau der Untersuchung
I.6 Allgemeine Hinweise und grundlegende Literatur
II. Übersichten
II.1 Einrichtungen der Wasserversorgung Jerusalems
II.2 Höhenangaben zu den Wassersystemen des Südost-Hügels
II.3 Versuche zur Lokalisierung des biblischen Gihon
II.4 Bezeichnungen der Gihon-Quelle
II.5 Bezeichnungen des Beckens an der südwestlichen Ausmündung des Hiskia‑Tunnels
II.6 Bezeichnungen der Wassersysteme des Südost-Hügels
II.7 Karten
III. Hintergründe und Strukturen
III.1 Wasser: kosmologische und kulturgeschichtliche Aspekte
III.2 Die Gihon-Quelle: hydrologische Aspekte
IV. Die Wassersysteme der Frühzeit Jerusalems
IV.1 Grundsätzliche Bemerkungen zur Wasserversorgung Jerusalems
IV.2 Erste Besiedlungsspuren
IV.3 Die Wassersysteme der Mittelbronze-II-Zeit (2000–1550 v. Chr.)
IV.4 Spätbronzezeit und Eisen-I-Zeit (1550–1000 v. Chr.)
IV.5 Die Erweiterung der Wassersysteme in der Eisen-II-Zeit (1000–587/586 v. Chr.)
IV.6 Persische und frühhellenistische Zeit (587/586–150 v. Chr.)
V. Die Jerusalemer Stadtquelle im Alten Testament
V.1 Die Namen der Stadtquelle und ihre Etymologien
V.2 Thematische Zusammenhänge
V.3 Ergebnisse
VI. Späthellenistisch-frührömische Zeit (150 v. Chr.–70 n. Chr.)
VI.1 Einleitung
VI.2 Archäologisch-baugeschichtlicher Befund
VI.3 Die Wasseranlagen Jerusalems bei Jesus Sirach (um 190 v. Chr.)
VI.4 Jerusalems Wasserreichtum
VI.5 … und der Wassermangel der Außenbereiche
VI.6 Jerusalemer Ortstraditionen zum Siloah in den Vitae Prophetarum (vor 70 n. Chr.)
VI.7 Der Siloah bei Josephus (um 80 n. Chr.)
VI.8 Der Ausfluss des Siloah in der Kupferrolle aus Qumran (25–75 n. Chr.)
VI.9 Der Gihon in antiken Übersetzungen
VI.10 Ergebnisse
VII. Rabbinische Aussagen zur Jerusalemer Stadtquelle
VII.1 Vorbemerkungen
VII.2 Vergleich des Siloah-Wassers mit dem Urwasser (pTaan 2,1/9, pPes 6,1)
VII.3 Das Siloah-Wasser als Zugabe zum Reinigungsmittel gegen Totenunreinheit (Para 3,2)
VII.4 Exkurs: Die Niddā-Quelle (Sach 13,1)
VII.5 Der Schöpf- und Libationsritus mit Siloah-Wasser an Sukkot (Laubhüttenfest)
VII.6 Weitere Überlieferungen zum Siloah
VII.7 Überlieferungen zum Gihon
VII.8 Ergebnisse
VII.9 Abbildungen
VIII. Die Jerusalemer Stadtquelle im Neuen Testament
VIII.1 Die Heilung des Blindgeborenen nach Joh 9
VIII.2 Die topographisch-heortologische Christologie des Johannesevangeliums
VIII.3 Sukkot als Hintergrund von Joh 7–9
VIII.4 Die Siloah-missus-Etymologie
VIII.5 Die kultisch-theologische Relevanz des Siloah in Joh 9
VIII.6 Die allegorische Rezeption von Joh 9 im frühen Christentum
VIII.7 Joh 9 in der Auslegung des Augustinus (354–430)
IX. Spätrömische Zeit (70–324)
IX.1 Der Portikus an der Birkat Silwān als römische Kultstätte
IX.2 Eine Dammanlage an der Gihon-Quelle
X. Byzantinische Zeit (324–635/638)
X.1 Nachrichten zum Siloah aus byzantinischer Zeit
X.2 Die Kirche am Siloah beim Pilger von Piacenza (um 570)
X.3 Der archäologische Befund zur Kirche am Siloah
X.4 Funktion und Patrozinium der Kirche am Siloah
X.5 Ergebnisse
XI. Frühislamische Zeit (635/638–1099)
XI.1 Die Kirchenlandschaft Jerusalems nach der islamischen Eroberung
XI.2 Der Siloah im städtischen Kontext
XI.3 Überlieferungen islamischer Autoren
XI.4 Der Siloah im Kontext der islamischen Interpretation jüdischer Kulttraditionen
XI.5 Ergebnisse
XII. Das lateinische Königreich der Kreuzfahrer (1099–1187)
XII.1 Die Bedeutung des Siloah während der Belagerung Jerusalems 1099
XII.2 Der Siloah im Besitz von St. Maria in Valle Josaphat
XII.3 Die Wasserversorgung Jerusalems in der Kreuzfahrerzeit
XII.4 Christliche Nachrichten zum Siloah
XII.5 Bezeugungen des Hiskia-Tunnels
XII.6 Jüdische Nachrichten zum Siloah
XII.7 Die unterirdische Verbindung zwischen Siloah und Silo
XII.8 Ergebnisse
XIII. Zeit nach der Rückeroberung Jerusalems bis zum Fall von Akko (1187–1291)
XIII.1 Nachrichten aus ayyūbidischer Zeit I (1187–1229)
XIII.2 Die Zwischenherrschaft der Kreuzfahrer (1229–1244)
XIII.3 Zeit der ḫwārizmischen Söldner / Ayyūbidische Zeit II (1244–1250)
XIII.4 Von der Machtübernahme der Mamlūken bis zum Fall von Akko (1250–1291)
XIV. Mamlūkische Zeit (1291–1516)
XIV.1 Die Entwicklung Jerusalems in mamlūkischer Zeit
XIV.2 Die Wiederentdeckung der Gihon-Quelle (Ende 13./Anfang 14. Jh.)
XIV.3 Weitere Nachrichten zur Gihon-Quelle und zum Siloah
XIV.4 Die Gihon-Quelle als muslimischer Gebetsplatz
XIV.5 Abbildungen
XV. Osmanische Zeit (1516–1917)
XV.1 Christliche Nachrichten zum Siloah
XV.2 Jüdische und muslimische Nachrichten
XV.3 Literarische Verarbeitungen
XV.4 Abbildungen
XVI. Die Jerusalemer Stadtquelle in Darstellungen
XVI.1 Bildtraditionen der christlichen Kunst zu Joh 9 und zum Siloah
XVI.2 Die Jerusalem-Karten aus der Zeit der Kreuzfahrer (11./12. Jh.)
XVI.3 Palästinakarten aus dem 13. bis 15. Jh.
XVII. 19. und 20. Jahrhundert
XVII.1 Nachrichten zur Birkat Silwān
XVII.2 Stiche und Zeichnungen der Birkat Silwān
XVII.3 Fotografien der Birkat Silwān
XVII.4 Nachrichten und Darstellungen zur Gihon-Quelle
XVII.5 Die Suche nach dem Gihon im 19. Jh.
XVII.6 Der Siloah im Alltagsleben
XVII.7 Volksglaube und Brauchtum
XVII.8 Abbildungen zur Birkat Silwān
XVII.9 Abbildungen zur Birkat al-Ḥamra
XVII.10 Abbildungen zur Gihon-Quelle
XVIII. Ausblick
XIX. Anhang: Reiseberichte und Texte zum Siloah in Auszügen
XIX.1 Byzantinische Zeit (324–635/638)
XIX.2 Umayyadische Zeit (660/61–750)
XIX.3 ʿAbbāsidische Zeit (750–970)
XIX.4 Fāṭimidische Zeit (970–1099)
XIX.5 Das lateinische Königreich der Kreuzfahrer (1099–1187)
XIX.6 Ayyūbidische Zeit I (1187–1229)
XIX.7 Intermezzo der Kreuzfahrer (1229–1244)
XIX.8 Zeit der ḫwārizmischen Söldner / Ayyūbidische Zeit II (1244–1250)
XIX.9 Dynastie der Baḥrīten (frühmamlūkische Zeit) (ab 1250)
XIX.10 Zeit nach dem Fall Akkos (mamlūkische Zeit) (1291–1516)
XIX.11 Osmanische Zeit (1516–1917)
XX. Verzeichnisse
XX.1 Abkürzungen
XX.2 Abbildungen
XX.3 Quellen und Literatur
XXI. Register
XXI.1 Stellenregister
XXI.2 Orte, Namen, Begriffe und Sachen
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